Stichprobensysteme |
Mathematische Inhalte:
Differentialrechnung (Berechnung von Extremwerten);
Algebraische Gleichungen hohen Grades
Bei Stichprobensystemen handelt es sich um eine leicht verständliche Methode der statistischen Qualitätssicherung. Stichproben ersetzen in vielen Fällen 100-%-Prüfungen, insbesondere bei zerstörenden Prüfungen oder Prüfungen an nicht allzu kritischen Teilen (d.h. ein gewisser durchschlüpfender Fehleranteil kann verkraftet werden.) bzw. Prüfungen, die sonst nicht wirtschaftlich durchführbar sind.
In der Praxis wird eine Vielzahl unterschiedlicher Stichprobensysteme verwendet. Wir wollen uns auf den einfachsten und bekanntesten Fall einer sogenannten Einfachstichprobenanweisung für qualitative Merkmale beschränken. "Qualitativ" soll heißen, daß die Prüfung eines Teiles nur auf der Basis gut oder schlecht (bzw. fehlerfrei oder fehlerhaft) erfolgt.
Beispiel :
Monatlich werden 20.000 Spritzgußteile bestimmter Spezifikation
an eine Firma geliefert. Der Lieferant hat zugesichert, daß höchstens
1% dieser Spritzgußteile unbrauchbar sind. Damit erklärt sich
die Firma einverstanden, jedoch soll diese Angabe des Lieferanten im Wareneingang
stichprobenartig
überprüft werden. Aus der Norm DIN ISO 2859-1 (AQL-Stichprobensystem)
wurde folgende Stichprobenanweisung herausgelesen:
n - c = 315 - 7
Was bedeutet diese Stichprobenanweisung ?
Aus dem Losumfang N=20.000 soll eine Stichprobe von n=315 Spritzgußteilen entnommen und geprüft werden. Die Zahl c wird Annahmezahl genannt, das bedeutet: Sind bis zu 7 fehlerhafte Teile unter den 315 geprüften Teilen, so gilt das Los im obigen Sinne als "o.k." und wird angenommen. Werden mehr als 7 fehlerhafte Teile gefunden, so wird das Los abgelehnt bzw. rückgewiesen. Was dann zu tun ist, muß vertraglich geregelt sein (z.B.: Reklamation / Rücksendung an den Lieferanten).
2. Fragestellungen
Offensichtlich ist eine Stichprobenentnahme mit einem bestimmten Risiko verbunden.
b) Wie groß ist die Anzahl der durchschlüpfenden fehlerhaften Teile für einen bestimmten vorgegebenen Ausschußprozentsatz p ?
c) Bei welchem Ausschußprozentsatz p ist dieser Durchschlupf maximal ?
3. Die Operationscharakteristik einer n-c-Stichprobenanweisung
Die Operationscharakteristik soll die obige Frage 2a) beantworten. Wir
wollen in einem Diagramm darstellen, bei welchem Ausschußprozentsatz
p
welche Annahmewahrscheinlichkeit Pa gemäß der n-c-Stichprobenanweisung
gegeben ist. Damit erhält man auch Einblick in die möglichen
Risiken einer Stichprobenanweisung im Vergleich zu einer wirklich "sicheren"
100%-Prüfung (die es in der Praxis bestenfalls nur bei Automateneinsatz
geben kann)
Durchaus reizvoll ist es, zunächst eine
Vermutung aufzustellen, wie dieses Operationscharakteristik im Vergleich
zur 100%-Prüfung aussieht.
Bei der 100%-Prüfung gibt es einen vereinbarten Schlechtanteil p1, bis zu dem die Lieferung mit Wahrscheinlichkeit 1 angenommen wird. (p1 wäre im Beispiel aus dem 1.Abschnitt 1%) Die strichlierte Linie stellt eine mögliche Vermutung für den Verlauf der Operationscharakteristik einer Stichprobenanweisung (etwa 315-7) dar, die allerdings nicht dem tatsächlichen Ergebnis entspricht. |
![]() |
Wie berechnet man diese Annahmewahrscheinlichkeiten Pa ?
Prinzipiell liegt hier eine Situation vor, auf die das Modell der Hypergeometrischen Verteilung zutreffen würde. Im vorliegenden Beispiel und in den meisten Fällen der Praxis ist jedoch die Losgröße N recht groß im Vergleich zu n, sodaß die Näherung durch die Binomialverteilung möglich und sinnvoll ist. Recht häufig wird (gerade im Bereich der Stichprobensysteme) die Näherung durch die Poissonverteilung (Parameter m = n× p ) verwendet, die ja typischerweise für kleines p und relativ großes n Anwendung findet. Außerdem findet die Poissonverteilung bekanntlich dann Verwendung, wenn nicht fehlerhafte Einheiten (® Binomialverteilung) sondern Fehler pro Einheit gezählt werden (z.B. Lackfehler je m2, Isolationsfehler je km Draht, ...).
Das Los wird angenommen, wenn höchstens c fehlerhafte Einheiten (bzw. Fehler/Einheit) gefunden wurden. Unabhängig von der verwendeten Verteilung gilt daher:
G(x) ist dabei die Verteilungsfunktion der gewählten Verteilung.
g(x) ist die Wahrscheinlichkeitsfunktion der gewählten Verteilung
Zur Umsetzung auf ein CAS-System definieren wir uns zunächst die benötigten Verteilungen :
Mit Hilfe der obigen Funktionen werden nun die Annahmewahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von p definiert - das ist dann die Operationscharakteristik (kurz "OC").
|
|
Pa_BI(n,c,p):=G_BI(c,n,p)×
× CHI(0,p,1)
|
Pa_PO(n,c,p):=G_PO(c,n,p)×
× CHI(0,p,1) |
Damit können nun die nachfolgenden Kurven
gezeichnet und mit den Ergebnissen zur Vertiefung des Verständnisses
der Operationscharakteristik herumexperimentiert werden. Die Abbildungen
sollen hierzu nur als mögliche Beispiele bzw. Anregungen dienen.
![]() |
![]() |
Abb.1: OC der Anweisung 315-7 | Abb.2 : OC der Anweisung 50-2 |
![]() |
![]() |
Abb.3 : Vergleich verschiedener OC´s :
Einfluß der Annahmezahl c |
Abb.4 : Vergleich verschiedener OC´s:
Einfluß des Stichprobenumfanges n |
Interpretation von Abb.1 - Abb.4 :
Wie groß ist die Annahmewahrscheinlichkeit für ein bestimmtes p ?
Pa_BI(315,7,0.02) ® 0.7028
Pa_BI(315,7,0.04) ® 0.0626
einzelne Punkte der OC. (Die Berechnung mit Pa_PO liefert hier nahezu dieselben Werte)
Aus diesem Grund gibt es entsprechende Tabellen, die auszugsweise im Anhang wiedergegeben werden. Beispielsweise liefern die Gleichungen
Pa_BI(315,7,p)=0.9
PO_PO(315,7,p)=0.9
nach SOLVE den Wert für p90 : p = 0.0148366 (mit der Binomialverteilung)
p = 0.0147813 (mit der Poissonverteilung)
Allerdings gelingt die Berechnung hier nur numerisch (d.h. man muß vorher OPTIONS | PRECISION auf APPROXIMATE stellen). Außerdem benötigt die Berechnung über die Binomialverteilung deutlich mehr Zeit.
Dies wäre eine Möglichkeit, auf die Lösbarkeit algebraischer Gleichungen einzugehen bzw. dies an dieser Stelle zu wiederholen. Bei der Berechnung über die Binomialverteilung ist für dieses Beispiel folgende Gleichung 315.Grades zu lösen:
(p-1)308× (5.58× 1013× p7+1.24× 1012× p6+2.39× 1010× p5+3.82× 108× p4+4.92× 106× p3+47586× p2+308× p+1) = 0.9
Außerdem ist für die Berechnung der numerischen Lösung die Angabe des Suchintervalls erforderlich. Bei ungünstiger Wahl können "falsche" Ergebnisse herauskommen !
Es ist daher hier auch die direkte Anwendung des SOLVE-Befehles sinnvoll. Zum Beispiel bedeutet die Anweisung
SOLVE(Pa_PO(315,7,p)=0.9 , p , 0 , 0.10)
die Suche nach einer Lösung im Intervall [0,0.10].
Wir wollen uns nun an die Beantwortung der Fragen aus 2b) und 2c) machen. Unter Durchschlupf versteht man den mittleren Anteil der fehlerhaften Teile des Loses, der die Prüfung passiert ohne aussortiert worden zu sein. (In der Fachliteratur wird der Durchschlupf auch AOQ-Wert genannt = "Average Outgoing Quality")
In einer ersten NÄHERUNG können wir uns daher überlegen:
Der Anteil der fehlerhaften Teile (p) muß mit der Wahrscheinlichkeit
multipliziert werden, daß das Los angenommen wird (Pa). Das
Ergebnis muß schließlich noch mit dem Anteil der nicht geprüften
Teile im Los () multipliziert
werden (da ja selbstverständlich fehlerhafte Teile, die in der Stichprobe
gefunden wurden, aussortiert werden). Wir erhalten also:
Die Gleichung liefert
als Lösung pAOQL und daher ist: Dmax =
AOQL = D(pAOQL)
Ähnlich wie bei der Berechnung von pß ist aber
auch hier im allgemeinen eine algebraische Gleichung höheren Grades
zu lösen, die meist nur numerisch zu lösen ist.
Graphische Darstellung:
Nebenstehend sind einige Durchschlupfkurven für die Anweisung n-c = 315-7 dargestellt. Man erkennt, daß für große N die Kurve gegen die Grenzfunktion D » Pa× p wandert. Ferner ist ersichtlich, daß
|
![]() |
Zurück zum eingangs formulierten Beispiel:
Nebenstehende Abbildung zeigt in der Gegenüberstellung die OC und Durchschlupfkurve der n-c-Anweisung 315-7 Bei Berechnung mit Hilfe der Poissonverteilung erhält man : pAOQL = 1,84 %
pmax = AOQL = 1,397 %
Die Binomialverteilung liefert: fast das gleiche Ergebnis. |
![]() |
5. Ausblick:
Die hier vorgeführten Berechungen und Funktionsdarstellungen lassen sich relativ leicht auf andere Stichprobensysteme ausweiten (Doppelstichprobensysteme, Mehrfachstichprobenpläne, messende Prüfung). Für den Mathematikunterricht scheint mir aber die hier gezeigte Besprechung der qualitativen Einfachstichprobenanwesiungen (n-c) ausreichend zu sein.
ANHANG:
A. Literaturverzeichnis:
[1] TIMISCHL, Qualitätssicherung, 2.Auflage, Carl Hanser Verlag München Wien 1995.
[2] FRANZKOWSKI, Stichprobensysteme, Lehrgang der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ), Frankfurt 1986.
[3] SCHÄRF, Mathematik 4 für HTL, 5.Auflage (Neubearbeitung), Oldenbourg Verlag Wien 1995.
B. Ausschnitt aus Tabellen für genormte Stichprobenanweisungen (nach [2])
In den Tabellen bedeuten:
p0,10 ... Fehleranteil, für den die angeführte n-c-Anweisung 10% Annahmewahrscheinlcihkeit aufweist
pAOQL Jener Fehleranteil, für den der Durchschlupf D maximal wird.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Berechnet
mit Hilfe der Poissonverteilung:
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
C. Berechnungsprotokoll (DERIVE Version 3.0) - Datei RO-STICH.MTH auf der Diskette