Geschwindigkeitsproblem (3. Teil) |
Mathematische Inhalte:
· Differenzieren und Integrieren
· Arbeitsintegral
Kurzzusammenfassung:
Im diesem dritten Teil des Artikels Geschwindigkeitsproblem wird versucht, die Bewegung des Waggons bei seiner Fahrt auf der Berg und Tal Bahn theoretisch zu berechnen. Der Einfluß der Reibung und die Energie bzw. Arbeit des Waggons werden ebenfalls untersucht.
Lehrplanbezug:
3. Jahrgang, Differenzieren, Integrieren, Polynomfunktionen
Zeitaufwand:
4 Stunden
Mediales Umfeld:
Berg- und Tal Bahn mit entsprechendem Programm (BTB 1.3), Laptop mit Projektionsmöglichkeit, DERIVE 3.0
1. Einleitung
Bei der theoretischen Behandlung der Berg und Tal Bahn ist es zunächst notwendig, das Streckenprofil genau zu kennen. Dazu wird eine entsprechende Polynomfunktion ermittelt. Diese Funktion lag schon dem Bau der Bahn zu Grunde. Sie soll nun mit den Schülern erarbeitet werden. Das Arbeiten mit einer Polynomfunktion läßt zunächst keine größeren Probleme erwarten - doch das ändert sich im Laufe der Untersuchungen und man ist gezwungen viele Vereinfachungen und Näherungen zu untersuchen und zuzulassen. Dabei ist ein CAS (in diesem Fall wieder DERIVE) sehr wertvoll.
Die Einstellungen in DERIVE:
2. Bestimmung der Koeffizienten der Profilfunktion
Der Waggon soll aufgrund der Schwerkraft einen Abhang hinunter, anschließend über einen nachfolgenden Hügel rollen und waagrecht auslaufen. Für die Strecke gelten folgende Bedingungen:
Diese Bedingungen werden nun in DERIVE eingegeben (Zahlenwerte in m):
Der Aufriß des Streckenprofils soll eine Polynomfunktion 6. Grades sein - im folgenden Profilfunktion PF genannt:
Die Ableitung der Profilfunktion ist an drei Stellen bekannt, daher differenzieren wir PF:
Die Bedingungen ergeben ein System von sieben linearen Gleichungen in den unbekannten Koeffizienten des gesuchten Polynoms:
Dieses Gleichungssystem wird nun gelöst und man erhält die Koeffizienten:
Damit erhalten wir die Profilfunktion
Die grafische Darstellung der Profilfunktion:
3. Kraft und Bescheunigung
Die treibende Kraft für den Waggon ergibt sich aus der Komponente der Schwerkraft tangential zur Profilfunktion an der entsprechenden Stelle abzüglich der Reibungskraft. Diese Reibung ist von der Schwerkraftkomponente senkrecht zum Profil über den Reibungskoeffizienten abhängig. Die nachfolgende Skizze erläutert den Sachverhalt:
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Schwerkraft (Gewichtskraft):
Fg = mž g m = 0,2 kg ... Masse des Waggons g = 9,81 m/s2 ... Erdbeschleunigung Tangentialkraft: Ft = Fgž sin a Reibngskraft: Fr = m ž Fn = m ž Fgž cos a m ... Reibungskoeffizient
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Für die Kraft, die den Waggon dann letztlich bewegt ergibt sich
Fa = Ft – Fr = Fgž sin a – m ž Fgž cos a
Der Anstiegswinkel a ist von der Stelle x abhängig und kann über die Profilfunktion ermittelt werden.
In DERIVE erhält man:
Dividiert man Fa durch die Masse m, so erhält man die Beschleunigung des Waggons in Abhängigkeit der Stelle x. Weiters wurde auch µ als unabhängige Variable in die Funktion hineingenommen, um den Einfluß der Reibung leicht untersuchen zu können.
Mit Simplify wird dieser Ausdruck nun vereinfacht:
Dieser große unhandliche Ausdruck "schreit" nach Vereinfachung! Im Zähler gibt es einen Ausdruck, von dem nur das Vorzeichen benötigt wird. Wir definieren die Hilfsfunktion h(x), das Argument der SIGN Funktion:
Sie ist im untersuchten Intervall positiv, daher kann der Term SIGN(h(x)) = 1 gesetzt werden.
Weiters wird die Funktion im Nenner untersucht, wieder definieren wir den Ausdruck unter der Wurzel als Hilfsfunktion h(x). Die grafische Untersuchung zeigt, daß man einen maximalen Fehler von 1 % macht, wenn die Nennerfunktion durch eine Konstante ersetzt wird. Damit kann man leben.
Die so erhaltene Näherungsfunktion für die Beschleunigung wird an(x,µ) bezeichnet und lautet:
Zeichnet man beide Funktionen a(x,0) und an(x,0), so sieht man, daß unsere Vereinfachungen durchaus zu rechtfertigen sind. Daher wird mit der Näherung unter der Bezeichnung a(x,µ) weitergerechnet:
4. Geschwindigkeit
Die Funktion für die Beschleunigung hat den Nachteil, daß sie von der Stelle x abhängig ist, und nicht von der Zeit, wie dies wünschenswert wäre. Setzen wir die x-Koordinate im Profil mit dem vom Waggon zurückgelegten Weg s (Bogenlänge der Profilfunktion) gleich wird ein Fehler gemacht, der angesichts der geringen Bahnneigungen zunächst vernachlässigt werden kann. Trotzdem führt das Problem auf eine Differentialgleichung, die trotz der einfach anmutenden Polynomgestalt der Beschleunigung weit über den Stoff der HTL-Mathematik hinausreicht (autonome konservative Differentialgleichung, für die nur eine implizite algebraische Lösung gefunden werden kann). Aufgrund der Meßergebnisse (2. Teil dieses Artikels in Aussendung 8) wissen wir, daß der Zusammenhang zwischen Weg und Zeit annähernd linear gesetzt werden kann, da sowohl die Geschwindigkeit alsauch die Änderungen klein sind. Das heißt, unsere Funktion a(x,µ) kann auch als Funktion a(t,µ) aufgefaßt werden. Diese Überlegungen sollten mit den Schülern ausführlich diskutiert werden. Die nachfolgenden Untersuchungen zeigen, daß diese Annahme zu brauchbaren Ergebnissen führt.
Bei den nachstehenden Graphen der beiden Funktionen Beschleunigung und Geschwindigkeit ist die Zeitachse normiert, die Fahrtzeit wird mit 1 angenommen. Durch eine Koordinatentransformation kann der Vergleich mit einer tatsächlich durchgeführten Messung leicht vorgenommen werden.
Liegt keine Reibung vor (µ = 0), ergibt sich das Bild:
Für einen realistischen Wert der Rollreibung (µ = 0.02) ergibt sich:
5. Arbeit und Energie
Die Betrachtungen in diesem Abschnitt haben durchaus ihre praktische Berechtigung. So gibt es zum Beispiel bei Nahverkehrsmittel wie einer U-Bahn Untersuchungen, ob man zwischen zwei Stationen den Energieverbrauch des Zuges oder auch die Fahrtzeit durch entsprechende Wahl eines Streckenprofils minimieren kann. Dabei ist natürlich die Beschleunigungsfunktion des Zuges zu berücksichtigen. Leider ist es mir nicht bekannt, ob es auch eine Umsetzung in einem U-Bahn-Netz gibt. In Wien waren hauptsächlich die geologische Beschaffenheit des Bodens, die Höhenlage der Stationen und schützenswerte Gebäude (Keller und Fundamente) für die Trassenlegung maßgeblich. Kurven in der Strecke würden den Rechenaufwand zusätzlich beträchtlich erhöhen. Die Optimierung der Fahrt geschieht dann über die automatische Steuerung der Züge (Linienzugbeeinflussung).
Nun zurück zu unserem Beispiel:
Der Waggon hat beim Start die potentielle Energie
Epot 0 = mgh = 0.2 × 9.81 × 0.03 = 0.0588 J
Diese Energie steht ihm zur Fahrt zur Verfügung. Während der Fahrt ist diese Energie von der Höhe und damit von der Profilfunktion abhängig:
Für die kinetische Energie Ekin (Bewegungsenergie) erhält man mit der im vorigen Abschnitt ermittelten Geschwindigkeitsfunktion:
Schließlich ergibt sich die vom Waggon verrichtete Arbeit W bis zu einer Stelle x1 aus dem Arbeitsintegral:
Untersuchung ohne Reibung (µ = 0):
Die Graphen für die potentielle Energie und die verrichtete Arbeit (Epot 0 – W(x1,0)) stimmen fast überein. Die zur Verfügung stehende Energie wird zur Gänze umgesetzt. Die Summe der kinetischen Energie und der Arbeit ist nahezu konstant. (Im ersten Drittel der Funktion macht sich der Fehler, der bei den Vereinfachungen gemacht wurde, bemerkbar!)
Untersuchung mit Reibung (µ = 0.02):
Die Differenz zwischen der Arbeit W und der potentiellen Energie Epot entspricht den Reibungsverlusten und erklärt die Abnahme der kinetischen Energie.
Bei den Graphen ist zu beachten, daß die Kurven nur bis x = 0.9 gelten, da die Bahn ab diesem Punkt waagrecht ausläuft. An dieser Stelle kann man mit den Schülern den weiteren Verlauf der Funktionen erarbeiten. Zum Beispiel steigt die Profilfunktion in diesem Bereich (x > 0.9) an. Die kinetische Energie wird etwa bei 1.05 Null um dann wieder anzusteigen - die Geschwindigkeit nimmt wieder zu. Das würde bedeuten, daß der Waggon umgedreht hat und wieder zurückfährt. Warum ist die Energie trotzdem positiv? usw.