Peter Schüller, HTBLuVA Mödling
Der TI-92 im schulischen Einsatz -
findet die schon so lange angesagte CAS-Revolution nun endlich doch statt? |
Compurealgebrasysteme gibt es seit Jahren, doch blieb ihnen im Bereich Schule und Unterricht der durchschlagende Erfolg, eine generelle Akzeptanz auf breiter Ebene, bisher eher verwehrt. Ich möchte es so formulieren: die oftmals angesagte Revolution hat (noch) nicht stattgefunden und, dies ist meine persönliche Ansicht, würde wohl auch nicht stattfinden, blieben Computeralgebrasysteme dem PC vorbehalten. Es gibt, gerade im schulischen Bereich, unzählige Bemühungen und Projekte, auf die unbestrittenen Möglichkeiten und Vorteile des Einsatzes von CAS im Unterricht hinzuweisen und die Akzeptanz bei Lehrern und Pädagogen zu erhöhen. Der Grad der Akzeptanz konnte jedoch niemals mit dem Ausmaß der Möglichkeiten, die das neue Medium bietet, mithalten.
Dies könnte sich (und wird sich meiner Meinung nach auch) in Zukunft ändern. Seit Anfang dieses Jahres ist, wie schon in der letzten Aussendung angekündigt, mit dem TI-92 der erste "Computeralgebra-Taschenrechner" auf den Markt gekommen. Ein Ereignis, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Mathematikunterricht, zumindest in den höheren Schulstufen, langfristig gravierend beeinflussen wird und somit eingehende Beachtung verdient. Man muß sich klar vor Augen halten, daß nun plötzlich Computeralgebra in einem Leistungsspektrum für Schülern jederzeit verfügbar ist, das weit über den realen Bedarf hinausreicht - und dies zu ausgesprochen moderaten Preisen, frei von Lizenzproblemen, unabhängig von der Steckdose und in relativ handlicher Form.
Kaum jemand wird sagen, daß diese Entwicklung überraschend gekommen ist. Man mußte kein großer Prophet sein, um sie vorherzusehen. Auch ich habe bereits in meinem Leitartikel im Oktober 92 auf eine solche Entwicklung hingewiesen und damals gemeint, daß erst sie eine echte Revolution erlauben würde. Ich stehe noch heute zu dieser Meinung und möchte meine Gründe in der Folge näher ausführen.
In der nachfolgenden Diskussion werden eine Reihe von Gründen angeführt, die (in der jeweils speziell angesprochenen Situation!) gegen ein CAS auf einem PC sprechen. Wohlgemerkt: ich beabsichtige in keiner Weise hier CAS, wie sie heute auf PC-Basis allgemein verfügbar sind, auch nur in irgendeiner Weise schlecht zu machen. Ich versuche lediglich darzulegen, welche (oft auch nur emotionell und nicht real bedingten) Gründe ausschlaggebend sind, daß sich CAS zur Zeit im Mathematikunterricht nur äußerst zögernd durchzusetzen vermöge.
1) Die häufigsten Vorbehalte gegen den Einsatz eines CAS im unterrichtlichen Bereich
Hardware-Kosten im privaten Bereich
Als erster wesentlicher Punkt wird häufig der Kostenfaktor ins Treffen geführt. Betrachtet man die notwendigen Anschaffungskosten für ein CAS auf PC-Basis und vergleicht sie mit dem Anschaffungspreis eines TI-92, so kommt man gut auf ein Verhältnis 1:5, wobei auf Seiten des PCs hierbei wirklich nur die notwendigste Mindestausstattung angenommen ist, um ein CAS zum Laufen zu bringen.
So wesentlich und entscheidend dieser Punkt auf dem ersten Blick erscheinen mag, so kommt ihm in der Realität bezüglich einer allgemeinen Akzeptanz meiner Meinung nach nur bedingte Bedeutung zu. Dafür sind zweierlei Gründe anzuführen:
Man kann also ruhig davon ausgehen, daß der Kostenfaktor im privaten Bereich nur selten der wahre Grund für das allgemein zögernde Akzeptanzverhalten ist. Andere Gründe erscheinen hier weit vordringlicher.
Hardwarekosten im schulischen Bereich - einer der zentralen Gründe
Weit wesentlicher stellt sich hier das Problem der Vollausstattung der Schüler während des Unterrichtes dar. Eine generelle und selbstverständliche Verwendung von CAS ist klarerweise nur dann sinnvoll und möglich, wenn die Schüler auch während des Unterrichts bei Bedarf jederzeit darauf zugreifen können. Dies bedeutete aber bisher, daß nur zwei Wege gangbar schienen:
Diese Gründe haben bisher, in durchaus natürlicher Weise, einen selbstverständlichen und ständigen Zugriff auf CAS im Mathematikunterricht sehr oft bereits im Keim erstickt. Dies alleine erklärt aber für mich persönlich die meisten Fälle der Zurückhaltung der Lehrer. Ein System, das ohnehin im Unterricht nicht generell verfügbar ist, mit viel persönlichem Aufwand und Einsatz selbst zu erlernen und auch noch einzuführen, alle Vorbereitungen neu zu erarbeiten und seinen Unterricht weitgehend umzustellen - ich kann durchaus verstehen, daß im Regelfalle hier erst einmal die weitere generelle Entwicklung abgewartet wird. Eine Situation, die sich übrigens nun schlagartig ändern könnte, tauchen auf den Schülertischen plötzlich mehr und mehr und mehr Geräte wie der TI-92 auf…
Geräteaufwand
Weiters erscheint mir der Größenfaktor der benötigten Hardware, bezogen auf einen einzelnen Arbeitsplatz, als gravierender Grund für zögerndes Akzeptanzverhalten. Wir wollen diese Frage von der Bedarfsseite aus betrachten, also davon ausgehen, daß ein CAS zum praktischen und problemlosen Arbeiten benötigt und gewünscht wird. Warum konnte sich hier der PC, der heute doch fast schon als Allgemeingut angesehen werden kann, nicht so richtig durchsetzen?
Ein Notebook ist dabei zweifelsohne jenes Gerät mit dem geringsten Platzbedarf, wir wollen es daher unseren Überlegungen zugrunde legen. Auch wollen wir annehmen, daß kein Drucker zum unmittelbaren Arbeiten vorgesehen ist. Trotzdem ist der Platzbedarf und der technische Geräteaufwand an einem einzelnen Arbeitsplatz immer noch gewaltig. Die Größe eines Notebooks beträgt in etwa eine A4-Seite, daneben bleibt für Hefte und Bücher nicht mehr allzuviel Platz…. Dazu kommt eine notwendige Stromversorgung, was neben der Notwendigkeit einer unmittelbar verfügbaren Steckdose in der Regel auch noch ein über den Arbeitstisch laufendes Stromkabel mit sich bringt (trotz immer langlebiger werdender Akkus). Umstände, die (zumindest zur Zeit) in einem Klassenraum generell nicht realisierbar sind.
Ebenso problematisch stellt sich der PC (ohnehin hier in Form eines Notebooks angenommen) dar, geht es um den Faktor Flexibilität. Das Mittragen eines A4-Notebooks kann nicht gerade als platzsparend bezeichnet werden, umso mehr wir im konkreten Fall vom Bedarf eines Algebrawerkzeuges ausgehen. Wo benötigt man die durch das CAS zur Verfügung gestellten Algebrafähigkeiten im täglichen (Schul-)Leben wirklich so oft, daß der Aufwand des Herumtragens eines Notebooks sich wirklich bezahlt macht?
Auch dies macht verständlich, warum nur wenige Lehrer reale Ambitionen zeigen, CAS in ihrem Unterricht als alltägliches Arbeitsmittel wirklich einzuführen
Lizenzen
Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt, auf den aber hier nur hingewiesen werden soll. Ihn hier ausführlich zu besprechen hieße lediglich: "Eulen nach Athen tragen".
Ganz wesentlich für einen allgemeinen Einsatz ist mit Sicherheit auch der sensible Bereich gültiger Lizenzen. Die Probleme, die aus diesem Punkt bei einem klassenweiten Einsatz eines CAS erwachsen, sind hinlänglich bekannt und haben nicht selten durchaus ambitionierte Ideen und Projekte schon im Keim erstickt. Mit der Existenz des CAS im ROM-Speicher ist dieses Thema plötzlich ein für alle Mal vom Tisch.
Ich bin fest davon überzeugt, daß alleine dieser Punkt in vielen Fällen die Entscheidung für einen CAS/ROM-Rechner und gegen eine PC/CAS-Lösung sehr stark beeinflussen wird.
Betriebssysteme
Das in den ROM-Speicher integrierte CAS beseitigt neben den Lizenzproblemen einen weiteren ganz wesentlichen Grund für eine häufige Zurückhaltung bei der Entscheidung für einen aktiven Einstieg in die Welt der Computeralgebra: der Wegfall eines Betriebsystemes. Einen ganz besonderen Hindernisgrund stellte das Betriebssystem gerade für jene Gruppe von Mathematiklehrern dar, die (noch) keine Beziehung zur EDV haben. Sie sahen bisher, daß sie bei einer Entscheidung für ein CAS nicht nur das Programm selbst erlernen mußten, sondern vorweg noch das große Hindernis des allgemeinen Handlings mit einem PC hatten, sich also doch nicht unerhebliche Grundkenntnisse des Betriebsystemes anzueignen hatten.
Gerade dieser Bereich bringt Einsteiger immer wieder zur Verzweiflung und veranlaßt sie nicht selten zur Aufgabe. Da das Betriebssystem im Hintergrund arbeitet, wird der Anwender mit ihm nur selten direkt konfrontiert. Treten aber einmal auch nur geringfügige (für den erfahrenen Anwender meist geradezu lächerliche) Probleme auf, so bedeuten diese unvorhergesehene Situationen neben nicht unerheblichen Zeitverlust nicht selten auch den Datenverlust des besonders in dieser Stufe noch sehr mühsam Erarbeiteten.
Bildschirmarbeit auf dem PC
Der Einsatz eines PCs bedeutet immer Arbeiten mit einem Bildschirm. Diesen Punkt erachte ich persönlich als einen weiteren zentralen Grund für das allgemein zögernde Akzeptanzverhalten. Bedient man sich in der Praxis der Unterstützung eines CAS, so muß man sich in jedem Fall sehr genau den Sinn des Einsatzes vor Augen halten. Prinzipiell unterscheide ich hier 3 unterschiedliche Formen:
Gehe ich in meiner Einteilung in den ersten beiden Punkten durchaus mit der allgemeinen Fachliteratur konform, so entspricht Punkt 3 doch weitgehend meiner eigenen Sichtweise.
Ich subsumiere unter diesem Punkt 3 alles, was als Ergebnis der Arbeit ein vollständiges Dokument erwartet, sei es auf dem Papier oder auch nur im Rechner selbst. Damit sind inhaltlich durchaus unterschiedliche Dinge gemeint, wie etwa das Erstellen von Folien, das Ausarbeiten von Arbeitsunterlagen, komplexe Problemlösungen oder auch nur das Zusammenstellen und Nachrechnen von Schularbeiten. So inhaltlich verschieden all diese Anwendungen sind, so ist ihnen gemeinsam, daß als Endprodukt ein vollständiges Dokument stehen soll.
Für die Erstellung eines kompletten Dokumentes ist nun der Einsatz eines CAS auf dem PC durchaus sinnvoll und der bisher damit verbundene Aufwand auch gerechtfertigt. Er eröffnet dem Anwender mit Sicherheit neue Dimensionen, kaum jemand wird dies ernsthaft bezweifeln. So stellen auch faktisch alle Anbieter von CAS diese Dokumentfähigkeit in ihrer Selbstdarstellung als wesentliche Eigenschaft in den Vordergrund. Dies erscheint durchaus verständlich, ist doch kaum zu erwarten, daß eine Werbung wie etwa:
"…Sie benötigen ein Integral? Kein Problem! Gehen Sie zu ihrem PC, fahren Sie ihn hoch, starten Sie unser Produkt XYZ, geben Sie schnell den Integranden ein, verfahren Sie dabei so und so und so und schon haben Sie blitzartig Ihr gewünschtes Ergebnis!…"
einen großen Kaufansturm auslösen würde.
Und gerade in diesem Punkt liegen meiner Ansicht nach die wesentlichen Schwierigkeiten einer allgemeinen Akzeptanz begraben. Der Taschenrechner hat sich durchgesetzt, weil er bei der alltäglichen Arbeit, bei minimalen Platzbedarf, auf Knopfdruck unmittelbar ein gerade benötigtes Ergebnis liefert. Und niemand hat in der Folge begonnen, komplette Berechnungen in allen Detailschritten vollständig in den Taschenrechner einzutippen anstatt sie auf Papier zu schreiben, trotz oft verfügbarer Kleindrucker zu den Rechnern…
In ihrer überspitzten Formulierung sind die letzten beiden Absätze, besonders von "CAS-Aposteln", sicherlich anfechtbar und werden aufgebrachte Gegenargumente auf den Tisch bringen. Mir geht es hier aber gar nicht um das "Anfachen eines Stellungskrieges", ich beabsichtigte vielmehr, eine häufige emotionale Einstellung des unbelasteten Mathematiklehrers darzulegen, die vielfach weniger im Bewußtsein, als viel mehr im Unterbewußtsein angesiedelt ist. Ich denke, die Realität des als eher zögernd zu bezeichnenden Durchbruches der CAS im schulischen Bereich (bei doch klar auf der Hand liegenden Fortschritten, die teilweise neue pädagogische Dimensionen eröffnen), gibt mir doch in einem hohen Maße Recht…
Der allgemeine echte Bedarf an fertigen CAS-Dokumenten hält sich im schulischen Bereich sicherlich in Grenzen. All die oben angeführten Fälle stellen eher seltene Fälle der allgemeinen täglichen Arbeitspraxis dar. Unterrichtsfolien werden in der Regel selten erstellt und überdauern meist lange Jahre. Das gleiche gilt in der Realität für Arbeitsunterlagen. Und komplexe Systeme von Berechnungen, also echte Problemlösungen, stellen normalerweise auch nicht gerade den Alltag eines Mathematiklehrers dar. Der Aufwand des Einarbeitens in ein Computersystem und in ein CAS steht für die meisten Anwendern einfach in keiner Relation zur Häufigkeit des eigentlichen Bedarfes. Die investierte Zeit übersteigt in den meisten Fällen des täglichen Unterrichtsbedarfes die gewonnene Zeit um ein "zig-Faches".
So kritisieren, vor allem unbedarfte, Mathematiklehrer oft, und sicherlich nicht ganz zu Unrecht, daß sehr häufig von "Aposteln" das CAS in den Mittelpunkt gestellt wird und weniger der wirkliche Bedarf. Oft wird das Medium selbst zum Ziel der Sache.
Wohlgemerkt! Ich spreche hier nicht gegen CAS (…das kann man wohl gerade mir kaum nachsagen…), ich versuche lediglich die Gründe für das reservierte Verhalten der Lehrerschaft gegenüber einer allgemeinen und selbstverständlichen Verwendung von CAS darzulegen.
Dazu kommt ein weiteres ganz wesentliches Problem (das übrigens nicht nur Lehrer und Schüler, sondern alle auch Anwender in Wissenschaft und Wirtschaft in gleicher Weise trifft). Ist man einmal wirklich darauf angewiesen, ein komplexes Dokument zu erstellen, so stellt sich in der Praxis die Bildschirmarbeit, trotz modernster Windows-Technologie und 17-Zoll-Schirmen, als ein weiterer, gravierender Nachteil heraus. Das schnelle, überblicksmäßige Erfassen von Daten, die an verschiedenen Stellen des Dokumentes plaziert sind, ist beim Arbeiten mit dem PC faktisch nicht möglich. Ein ständiges Vor- und Zurückblättern auf dem Bildschirm bedeutet nicht nur eine ungemeine Zeitverzögerung gegenüber einem schnellen Blick über mehrere Seiten Papier, es behindert auch das Erfassen der Zusammenhänge ganz wesentlich. Ganz ehrlich: haben Sie in dieser Situation nicht auch schon oftmals zwischendurch einen Ausdruck gemacht, um für das Weiterarbeiten alles vor sich liegen zu haben…
2) Der eigentliche Bedarf im schulischen Bereich - ein echtes Algebra-Tool
Alle CAS auf dem PC, gleichgültig welchem Typ sie zuzuordnen sind ( zeilenorientiert oder mit graphischer Oberfläche, syntaxorientiert oder menügesteuert), orientieren sich in ihrer Grundkonzeption an dem Endprodukt Gesamtdokument. Ein echter Bedarf hierfür ist aber im Bereich Schule und Unterricht doch nur in geringem Maße gegeben. Ein solcher geht hier eher in die Richtung eines einfach zu handhabenden und immer verfügbaren Werkzeuges.
Diese Aussage trifft auf Lehrer wie auf Schüler in gleichem Maße zu!
Für das "tägliche Leben" des Lehrers ideal erscheint ein Produkt, das ihm vor allem beim gewohnten "klassischen" Arbeiten mit Papier und Bleistift, mit Schularbeit und Rotstift oder mit Tafel und Kreide die Lösung eines aus dem Zusammenhang gelösten algebraischen Problems unmittelbar zur Verfügung stellt. Er will etwa beim Korrigieren mit dem Fehler eines Schülers, der einen "wüsten Ausdruck" produziert hat, schnell weiterrechnen, er möchte an der Tafel bei der (Eigen)Fehlersuche zur Eingrenzung rasch komplexe Schritte nachrechnen oder er möchte beim Zusammenstellen von Aufgaben überblicksmäßig einige wesentliche Probleme in ihren Auswirkungen erfassen.
Der Schüler wünscht sich ein Produkt (und benötigt es meiner Ansicht nach auch), das ihm Lösungen für "lokale" Probleme unmittelbar zur Verfügung stellt, unabhängig von einem globalen Zusammenhang. Er bedarf in erster Linie der Unterstützung eines Mediums gerade für diesen "einen Rechenschritt". Mögen sie diese Meinung auch noch so vehement zurückweisen, ich denke, die reale Unterrichtspraxis belehrt uns eines Besseren. Ich habe in den letzten Jahren, die ich doch sehr intensiv dem Bereich CAS gewidmet habe, immer wieder die Erfahrung gemacht, daß faktisch alle Schüler (die "Spitzen" ausgenommen) ernsthafte Probleme mit den Zusammenhängen in einem Dokument haben, das über zwei Bildschirmseiten hinausgeht. Sind wir einmal ganz ehrlich: zeigen sich diese Probleme nicht sogar schon in einem gewöhnlichen Heft, wenn die Aufgabe einmal ein bißchen länger oder komplexer wird…
Gerade für diese in den letzten beiden Absätzen beschriebenen Probleme ist aber der PC, mit all seinem technischen Aufwand und erheblichen Platzbedarf, kaum geeignet. Kein einziges der angeführten Beispiele aus der täglichen Arbeitspraxis, die sich übrigens noch beliebig ausweiten ließen, rechtfertigt einen danebenstehenden und ständig laufenden PC. Niemand wird wohl bestreiten, daß dies alles a priori die Domäne eines CAS/ROM Rechners sein muß, wie er nun in Form des TI-92 zur Verfügung steht.
Kommen wir auf die im Abschnitt 1.5 angeführte Einteilung des Einsatzes von CAS zurück. Die Punkte "CAS als Tool zum Erstellen von Dokumenten" und "CAS als Tutor" lassen in ihren Möglichkeiten bereits heute kaum mehr einen Wunsch offen. Sie sind die Domäne des CAS/PC. Der Punkt "CAS als Tool für das Lösen von mathematischen Problemen" war meiner Meinung nach bis dato das Stiefkind, auch wenn es kaum jemand wahrhaben wollte. In Vorträgen behaupte ich immer wieder."…hier stecken wir noch in den Kinderschuhen" - wohlgemerkt nicht wegen mangelnder Fähigkeiten der CAS, sondern wegen des in keiner Relation stehenden Aufwandes. Die Existenz des TI-92 läßt nun hoffen (und erwarten), daß sich die Situation in diesem Punkte gravierend verändern wird.
[Ich möchte hier aus privater Sicht eine ganz persönliche, emotionelle Erfahrung beisteuern. In meinem Arbeitszimmer läuft in seiner Ecke eigentlich immer der PC, ich habe also bei Bedarf ständig unterschiedlichste CAS auf "Mausklick" zur Verfügung. Seit ich nun im Besitz des TI-92 bin, greife ich beim händischen Arbeiten sehr oft einfach zu diesem Rechner, lediglich um irgend ein Detail zu berechnen, was mich händisch einfach mehr Aufwand kosten würde. Mit einem CAS/PC habe ich das eher sehr selten gemacht…]
CAS/ROM-Rechner als Wegbereiter für CAS-Systeme?
Wer meine Aussagen nun in die Richtung interpretiert, daß die Zukunft den CAS/ROM-Rechnern alleine gehört und daß CAS auf dem PC ein Schattendasein fristen werden, versteht mich völlig falsch. Ich denke, daß für beide Formen ein echter Bedarf auf dem Markt gegeben ist und sie sich auch kaum ins Gehege kommen werden. CAS/PC-Systeme sind für das Erstellen von Dokumenten, wo und in welcher Form auch immer sie gebraucht werden, unersetzbar. Eine Domäne, in welcher CAS/ROM-Rechner ihnen niemals den Rang streitig machen werden können. Ebenso unbestritten sind ihre Qualitäten als Tutor, also als Hilfsmittel zur leichteren und klareren Vermittlung von Inhalten.
Worauf ich aber verweisen möchte ist, daß die Vorteile der CAS/ROM-Rechner auf dem Gebiet "ständig verfügbares Rechenwerkzeug" ausschlaggebend für eine allgemeine Akzeptanz und für ein generelles Durchsetzen von CAS sein sollten.
Traurigkeit auf Seiten der CAS/PC-Verfechter und -Könner ist aber in keiner Weise angebracht. Ich bin ehrlich davon überzeugt, daß der (fast sicher scheinende) Erfolg der CAS/ROM-Rechner in der Folge auch den CAS/PC-Systemen zu der ihnen zustehenden Wertigkeit verhelfen wird. Denn ist erst einmal die Hemmschwelle CAS an sich gebrochen, das Faktum einer Algebrarechenhilfe als solches akzeptiert, so wird sich rasch eine große Zahl der Anwender dafür interessieren, welche Möglichkeiten über die reine Toolfunktion hinaus noch in einem CAS stecken. In sehr vielen Fällen werden die Dimensionen des Kleinrechners bezüglich gestalterischer Möglichkeiten, dem Zuladen von Applikationen und ähnlichem, rasch zu klein werden und die Anwender werden häufig auf diese Art den Weg auf den PC finden. Mir scheint es wahrscheinlich, daß CAS/ROM-Rechner als Wegbereiter für CAS-Systeme an sich fungieren werden.
3) Die generelle Verfügbarkeit als wesentliches pädagogisches Moment
Welche pädagogischen Momente werden nun in dieser Entwicklung zu beachten sein. Ein ausführliches Aufzählen und diskutieren aller Möglichkeiten, aller Vor- und Nachteile eines CAS/ROM-Rechners aus pädagogisch-didaktischer Sicht würde nicht nur einen, sondern gleich mehrere eigene Artikel füllen, ebenso das Anführen konkreter Beispiele aus dem Unterricht. Alle diese Dinge werden in nächster Zeit noch zahlreichst publiziert werden, so auch in diesen Aussendungen. Dies alles ist nicht Ziel dieses Artikels. Ich will hier nicht eine Detaildiskussion in dieser Richtung beginnen, sondern lediglich einige, mir als sehr wesentlich für die zukünftige Entwicklung erscheinende Punkte, kurz anführen.
Zu Beginn möge der Hinweis stehen, daß nun im Mathematikunterricht (sowohl im HTL-Bereich wie auch in allen anderen Schulformen) die schon lang erhobene Forderung nach wirklichkeitsnahen Beispielen endlich Realität werden könnte. Rechnerische Beschränkungen (etwa für den Schüler zu diesem Zeitpunkt und im gegebenen Zeitrahmen lösbare Gleichungen oder Integrale) fallen weg, die operativen Anteile treten bei den anwendungsbezogenen Aufgaben in den Hintergrund, die Modellbildung und die Problemlösung erhält zentrale Stellung. Ein Fortschritt, dessen Tragweite gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Interessant erscheint es aber vor allem, die Möglichkeiten "CAS als Tutor" näher zu betrachten. Wie schon oberhalb in diesem Artikel ausgeführt, scheint dieser Bereich a priori eine Domäne der Systeme CAS/PC. Ich denke, daran wird sich auch im Prinzip kaum etwas ändern. Die inhaltliche Flexibilität (parallele Darstellung verschiedener Anwendungen zu gleicher Zeit), der deutlich größere Leistungsumfang und vor allem die bessere Lesbarkeit einer PC-Bildschirmdarstellung (z.B. Farben!), werden von CAS/ROM-Rechnern wohl kaum so bald erreicht werden.Trotzdem bieten auch die CAS/ROM-Rechner auf diesem Gebiet Vorteile, die ihrerseits den PC-Systemen vorbehalten bleiben. Durch das Faktum, daß jeder Schüler der Klasse einen eigenen Rechner vor sich liegen hat, wird der so wesentliche Anteil an Eigenaktivität bei reinen Lerneinheiten klar erhöht, die Gefahr der passiven Berieselung, des Abschaltens deutlich reduziert. Der Schüler kann die verständnisfördernden Demonstrationen des Lehrers unmittelbar mitvollziehen.
Des weiteren kann nun die experimentelle Mathematik einen neuen Stellenwert erhalten. Bedenkt man den pädagogischen Wert "selbst gefundener" Erkenntnisse (besseres Verstehen, deutlich flachere Vergessenskurve, erhöhte Motivation…), so sollte außer Zweifel stehen, daß diesem Bereich in Zukunft großes Augenmerk zukommen sollte. Um so mehr, als durch die generelle Verfügbarkeit des Mediums bei diesem (natürlich dosiert und gezielt eingesetztem) Lehrweg kaum mit großen Zeitverlusten gegenüber dem klassischen Unterricht zu rechnen sein wird.
Die Gefahr der Degradierung zum reinen Arbeitsmittel
An dieser Stelle und zum Abschluß möchte ich nun zum wesentlichen Punkt dieses Abschnittes kommen. So sehr ich mit Spannung und auch mit ehrlicher Freude auf der einen Seite der Entwicklung entgegensehe, so skeptisch bin ich auf der anderen Seite bezüglich der Unterrichtsrealität.
Entwicklung und Einführung von CAS im Unterrichtsbereich weisen vielfach deutliche Parallelen mit Entwicklung und genereller Einführung des Taschenrechners vor etwas mehr als 15 Jahren auf. Vergleiche sind schon vielfach gezogen worden und sie betreffen die unterschiedlichsten Teilbereiche. Ich möchte hier nur auf einen einzigen Punkt eingehen und deutlich auf diesen verweisen.
Auch der Taschenrechner (eigentlich gleichgültig welcher Leistungsklasse) birgt ein ungemein hohes Maß an methodischen Möglichkeiten in sich. Im Verlaufe der generellen Verbreitung vor nun fast 20 Jahren wurden diese Möglichkeiten, trotz vielfach meist polemisch geführter Diskussionen, sehr wohl erkannt. Und über einen Zeitraum von mehreren Jahren erschienen in allen einschlägigen Fachzeitschriften Artikel zum Thema "Der Taschenrechner als Lern- und Verständnishilfe". Ebenso erschienen unzählige Bücher in diesem Bereich. Betrachtet man aber die heutige Unterrichtsrealität, so wage ich zu behaupten, daß der Taschenrechner in dem angesprochenen Sinne nur mehr in den seltensten Fällen eingesetzt wird. Seine Selbstverständlichkeit, der allgemeine Zeitdruck und wohl auch ein wenig Bequemlichkeit haben ihn im Regelfall zum reinen Rechenwerkzeug degradiert (als welches er letztlich ja auch konzipiert ist!). Die methodischen Möglichkeiten liegen hingegen brach.
Eine ähnliche Entwicklung fürchte ich nun bei einer generellen Verbreitung von CAS/ROM-Rechnern. Ich befürworte klar die generelle Verfügbarkeit eines algebraischen Rechenhilfsmittels, wie es der Taschenrechner für den numerischen Bereich darstellt. Trotz anfänglich häufig geäußerter Urängste, der Taschenrechner würde das Ende jeglicher mathematischen Kultur mit sich bringen, wissen wir heute, daß er neben einigen Nachteilen sicherlich viel mehr Vorteile und einen großen Fortschritt mit sich gebracht hat - und die Mathematik hat auch nichts an Bedeutung oder Wichtigkeit verloren. Die methodischen Möglichkeiten aber, die ein CAS/ROM-Rechner der Zukunft, wie ihn sicherlich der TI-92 als Erstmodell darstellt, bietet, sind nun bedeutend größer und wichtiger als jene des Taschenrechners. Ja ich möchte sogar behaupten, sie öffnen in weiten Bereichen neue Dimensionen der Lehrstoffvermittlung. Meine größte Angst für die nun sichtlich Realität werdende Zukunft eines generell verfügbaren CAS auf der Schulbank ist, daß nach dem ersten Schwung die methodischen Aktivitäten vielfach wieder im Sand verlaufen und die Geräte zum reinen Rechenhilfs-mittel degradiert werden könnten. In diesem Falle ließen wir uns mit Sicherheit eine der größten Chancen entgehen, die dem Mathematikunterricht auf dem Gebiet der Methodik je geboten wurde…