Wilfried Rohm, HTBL Saalfelden
Komplexe Zahlen und Ortskurven |
Mathematische Inhalte:
Komplexe Zahlen, Ortskurven, Parameterform, Differentialrechnung
Anwendung:
Die in diesem Artikel demonstrierte Anwendung von Computeralgebrasystemen
(CAS) kann speziell in den Fachgegenständen der Abteilung Elektrotechnik
fächerübergreifend zur Lösung typischer Fragestellungen
verwendet werden.
Kurzzusammenfassung:
Das Themengebiet "Komplexe Zahlen" bietet in elektrotechnischen Abteilungen
die Möglichkeit, erstmals in bedeutendem Maße die Möglichkeiten
eines CAS zu nutzen. Am Beispiel von DERIVE werden diese demonstriert,
im Anhang werden auch Lösungsmöglichkeiten in MATHCAD 5.0 (PLUS)
zum Vergleich vorgestellt.
Lehrplanbezug:
Komplexe Zahlen (2.Jahrgang), eventuell auch Anwendungen der Differentialrechnung
(3.Jahrgang)
Zeitaufwand:
In der dargestellten Form 3-5 Unterrichtseinheiten, wobei Auslassungen
oder Erweiterungen in beliebiger Form möglich sind.
Mediales Umfeld:
Verwendete Medien: IBM-kompatibler PC
Verwendete Software: DERIVE 3.0 , MATHCAD 5.0 -PLUS
Dateien zum Herunterladen:
RO-BSP1.MTH , RO-BSP2.MTH , RO-BSP3.MTH , RO-BSP4.MTH, RO-BSP5.MTH
(DERIVE-Files)
RO-BSP1.MCD , RO-BSP4.MCD (MATHCAD-Files)
Anmerkungen:
Der vorliegende Artikel stellt eine Art Fortsetzung des Artikels von
Thimary/Scheiber "Anwendung der komplexen Rechnung in der Wechselstromtechnik"
aus AMMU[3], Beitrag 5 dar. Die Inhalte sind fast exakt in der vorliegenden
Form von mir im Unterricht durchgeführt worden.
1.Rechnen mit komplexen Zahlen in DERIVE:
DERIVE (3.0) bietet die folgenden Funktionen zum Rechnen mit komplexen
Zahlen an:
Imaginäre
Einheit (Eingabe : ALT i oder #i)
RE(z) Realteil der komplexen Zahl z
IM(z) Imaginärteil der komplexen Zahl z
CONJ(z) Konjugiert komplexe Zahl von z
ABS(z) Absolutbetrag der komplexen Zahl z
PHASE(z) Winkel in der Gauß-Ebene (in Radiant)
SIGN(z) Projektion von z auf den Einheitskreis
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Beispiel 1: (eine typische Aufgabe aus
dem 2.Jahrgang )
Ermittle zu der nebenstehenden Skizze den
Betrag des komplexen
Ersatzwiderstandes und berechne jenes w
, für das der Phasenwinkel
j (z) = 300 ist. |
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Für den HTL-Unterricht ist bei der Umsetzung in DERIVE zunächst
ärgerlich, daß vom üblichen "j" für die imaginäre
Einheit abgegangen werden müßte. Dies kann jedoch durch die
Definition
j := (Eingabe:
# i oder ALT i )
umgangen werden. Ab dieser Definition kann "j" als imaginäre Einheit
verwendet werden, allerdings erfolgen die Ausgaben von DERIVE weiterhin
mit .
Hinweis:
Standardmäßig wandelt DERIVE Variablennamen in Kleinbuchstaben
um, was im Bereich der Elektrotechnik störend wirkt (zB. "r" statt
"R"). Es empfiehlt sich daher, über den Menüpunkt OPTIONS
/ INPUT den Untermenüpunkt MODE CASE auf SENSITIVE zu stellen;
dann müssen allerdings alle verwendeten Standardfunktionen
(zB. ABS) groß geschrieben werden.
DERIVE bietet auch die Möglichkeit, für Variablen bestimmte
Zahlenmengen und Bereiche festzulegen, was bei der Berechnung berücksichtigt
wird. In diesem Beispiel wurden L,R und w als
reell ("REAL") und positiv definiert (Menüpunkt: DECLARE VARIABLE)
In den elektrotechnischen Fachgegenständen wird allerdings häufiger
als in Komponentenform mit der r-j -Form (Versorform)
gerechnet. Dazu sind keine vordefinierten Funktionen in DERIVE vorgesehen.
Es bietet sich jedoch an, die Möglichkeiten zu nützen, die sogenannte
Hilfsdateien (Utilities) in DERIVE bieten. Eine derartige Hilfsdatei
könnte beispielsweise wie folgt aussehen:
Eine derartige Hilfsdatei
wird in DERIVE zunächst mittels TRANSFER / SAVE / DERIVE zum
Beispiel unter dem Namen C.MTH gespeichert. Soll nun in einer Arbeitssitzung
diese Hilfsdatei verwendet werden, lädt man diese mittels TRANSFER/LOAD/DERIVE
(sichtbar) oder mittels TRANSFER/LOAD/UTILITY in den Hintergrund.
Die folgende (ebenfalls typische) Aufgabe aus dem Mathematik-Unterricht
des 2.Jahrganges läßt sich bei Verwendung dieser Hilfsdatei
sehr einfach lösen:
Beispiel 2:
Lösung nach Einbinden der Hilfsdatei C.MTH (siehe oben)
2. Ortskurven mit DERIVE:
Ortskurven sind Darstellungen funktionaler Zusammenhänge in der
Gauß´schen Zahlenebene. In der Elektrotechnik zeigen sie den
Widerstands- oder den Stromverlauf einer Schaltung komplexer Widerstände
(= Wechselstromwiderstände) bei Veränderung des elektrischen
Widerstandes eines Schaltelementes oden den Widerstands- bzw. Stromverlauf
bei Veränderung der Frequenz. Ich halte es für durchaus sinnvoll
(und für den Mathematikunterricht auch für lohnend), die Grundlagen
dieses wichtigen Kapitels im Mathematikunterricht zu besprechen. Der Einsatz
von CAS ermöglicht darüber hinaus das Zeichnen komplizierterer
Ortskurven ohne den ansonsten nötigen immensen Zeitaufwand. Gleichzeitig
kann bei der Gegenüberstellung zu kartesischen (reellen) Funktionen
der Sinn der Verwendung von Ortskurven ersichtlich gemacht werden (siehe
Beispiel 4 und 5)
Bezüglich einer Einführung in das Kapitel der
Ortskurven und ihre Anwendung in der Elektrotechnik sei auf [1] und [2]
im Literaturverzeichnis verwiesen.
Prinzipielle Vorgangweise:
-
Zunächst wird die Formel für den komplexen Gesamtwiderstand Z
in Abhängigkeit von der variab-len Größe (zB: R,L,C,f,w
) nach den Regeln der Elektrotechnik aufgestellt.
praktischer Hinweis: DERIVE erkennt in
einem allgemeinen Ausdruck automatisch die unabhängige Variable, soferne
nur eine vorhanden ist. Daher kann beispielsweise geschrieben werden:
Z := ...... [ Term in Abhängigkeit von
R]
und im weiteren wird Z als Z(R) behandelt.
Mehr Schreibarbeit ist es, bei der Festlegung die unabhängige
Variable mit anzugeben. Dies hat jedoch den Vorteil, daß verschiedene
Funktionswerte übersichtlich (ohne MANAGE- / SUBSTITUTE ) aufgerufen
werden können. Beispiel:
Z(R) := ...... [ Term in Abhängigkeit
von R]
Einzelne Werte (zB. für R=10) können dann mittels
Z(10) und APPROXIMATE bzw. SIMPLIFY ausgegeben werden.
Im Beispiel 3 wird die (kürzere) erste Schreibweise
bevorzugt, im Beispiel 4 wird Z in Abhängigkeit von der Frequenz als
Z(f) definiert um auch die 2.Schreibweise zu demonstrieren.
-
Die Ortskurve von Z wird in Parameterdarstellung formuliert und anschließend
gezeichnet.
[ RE(Z) , IM(Z) ]
praktischer Hinweis: Nach dem Aufruf von PLOT
/ PLOT wird man aufgefordert, den Bereich für den Parameter (das ist
also hier die variable Größe R,L,C,f oder w
) anzugeben. Anschließend wird die Ortskurve gezeichnet. Da DERIVE
im Gegensatz zu vielen anderen Mathematik-Paketen im 2-dimensionalen keine
automatische Formatierung vornimmt, kann es leicht vorkommen, daß
man von der Kurve zunächst "nichts" sieht. Dann muß man mit
den üblichen Methoden (F9 bzw. F10 für schnelles Zoomen bzw.
Verkleinerung sowie Verwendung der Befehle SCALE , RANGE, usw...) den passenden
Bereich einstellen!
Wird mit mehreren Fenstern gearbeitet, muß man mittels F1 nach
vor dem eigentlichen PLOT-Vorgang das gewünschte WINDOW ansprechen
(Markierung der Nummer).
-
Gerade bei Ortskurven erscheint es sinnvoll, einzelne Punkte einzuzeichnen.
Dies können wir in DERIVE mittels VECTOR-Befehl erreichen.
VECTOR( [RE(Z),IM(Z)], Parameter, Anfangswert,Endwert, Schrittweite)
Mittels APPROXIMATE werden die Komponenten des Vektors berechnet;
die anschließend gezeichnet werden können (PLOT/PLOT).
praktischer Hinweis: Damit wirklich -
wie gewünscht - einzelne Punkte eingezeichnet werden, muß im
PLOT-Untermenü OPTIONS / STATE MODE auf DISCRETE und
SIZE auf LARGE eingestellt sein.
-
Die Darstellung der Ortskurve des Leitwertes bzw. des Stromes erfolgt nach
der Definition Y:=1/Z völlig analog zu oben. (siehe Beispiele
3 und 4)
Beispiel 3: (Einfache Ortskurven)
Didaktische Bemerkung:
Selbstverständlich rechtfertigt obiges Beispiel nicht den Einsatz
eines Computers. Es sollte an diesem einfachen Beispiel nur das Prinzip
erläutert werden. Erst bei den beiden folgenden Beispielen erkennt
der Schüler (unter Umständen das erste Mal) den Sinn und Nutzen
des Computereinsatzes.
Die folgenden Beispiele erfordern unbedingt Selbsttätigkeit des
Schülers. Über ihre Einsatzmöglichlkeiten im Unterricht
siehe 3.Vorschlag für die Vorgangsweise im Unterricht.
Beispiel 4 (entnommen aus [1], modifiziert)
Die Lösung wird in etwas gekürzter Form vorgeführt,
Gesamtprotokoll siehe Diskette.
Teil a)Zunächst werden alle nötigen
Definitionen und Festlegungen getroffen, die Frequenz f bleibt
als einzige unbekannte Größe übrig und wird als
variable Größe mitgeführt.
Teil c) verlangt die Berechnung der Resonanzfrequenz,
das ist jene Frequenz, bei der IM(Z) = 0 ist. DERIVE liefert im
Modus OPTIONS/PRECISION/MIXED 5 Lösungen, von denen aber nur eine
die Bedingung 0<f<¥ erfüllt.
Teil d) Schließlich soll noch mittels
der Differentialrechnung der Maximalwert gefunden werden
SOLVE(DIF(ABS(Z(f)),f)=0,f)
Obiger Befehl bewirkt die Lösung der Gleichung .
(Man kann natürlich auch Schritt für Schritt vorgehen)
DERIVE liefert folgende Lösungen (wiederum im Modus
Precision:=Mixed)
[f=0 , f=88.6456 , f=-88.6456 , f=99.4206×
, f=-99.4206× ]
Unsere gesuchte Lösung kann nur f=88.6456 Hz sein.
Interpretation:
Die Zusammenstellung der 4 Kurven ermöglicht ein Erkennen der
theoretischen Zusammenhänge:
-
Die Bedeutung der Ortskurven liegt u.a. darin, daß auf einmal
Betrag UND Phasenlage abgelesen werden können.
-
Der Vergleich einzelner Punkte zwischen den Ortskurven des komplexen Widerstandes
und des Leitwertes Y=1/Z bei komplizierteren Kurven erhöht
das Verständnis.
-
Ortskurven können nun auch zu praxisnahen, komplizierteren Schaltungen
erstellt werden und können somit vom Schüler nachvolllzogen werden.
Beispiel 5(entnommen aus [2], modifiziert)
Die Vorgangsweise ist völlig analog zu Beispiel 2, allerdings
ist das Ergebnis etwas komplizierter und ohne CAS sicher nicht mehr in
einem vertretbaren Zeitrahmen zu bewältigen. Daher wird hier nur das
Ergebnis dargestellt.
Berechnung von Z:
3. Vorschlag für die Vorgangsweise im Unterricht:
Die hier angegebene Vorgangsweise entspricht einer von mir kürzlich
durchgeführten Unterrichts-sequenz in einem 2.Jahrgang Elektrotechnik
(Hinweis: Das prinzipielle Handling in DERIVE sowie elmentare Operationen
und das Erstellen von Grafiken war den Schülern zu diesem Zeitpunkt
bereits bekannt, allerdings ohne viel Übungsmöglichkeiten)
a) "Herkömmliches" Rechnen mit komplexen Zahlen inclusive dem
Prinzip von Ortskurven und ihrer Inversion
b) Unter Anleitung wird das Rechnen mit komplexen Zahlen in DERIVE erlernt
und einige Beispiele gelöst (siehe Beispiele 1-3)
c) Nach Anleitung wird (im Unterricht) am PC (2 Schüler pro PC)
das Beispiel 4 als erste komplexere Aufgabe gelöst. Die Schüler
erhielten anschließend die Ergebnisse sowie den prinzipiellen Rechengang
als Kopie zur Dokumentation und ausführlichen Interpretation (die
Berechnung von Zmax mit Hilfe der Differentialrechnung wurde
natürlich noch nicht durchgeführt)
d) Beispiel 5 wird von den Schülern als Hausübung gelöst.
Reaktionen: Die Schüler meinten anschließend, zum
ersten Mal den Sinn eines CAS erkannt zu haben - zuvor war es hauptsächlich
zur Veranschaulichung (Funktionen) verwendet worden.
4.Literaturverzeichnis:
[1] KRIKAVA / RUHSWURM / SEISER: Grundlagen der Elektrotechnik,
Band 2, Oldenbourg Verlag Wien.
[2] MOELLER / FRICKE /FROHNE / VASKE: Grundlagen der Elektrotechnik,
Verlag Teubner Stuttgart.
[3] Weißgerber : Elektrotechnik für Ingenieure, Band2,
Verlag Vieweg Braunschweig/Wiesbaden.
5. ANHANG: Lösungen der Beispiele 1 und 4 in
Mathcad 5.0 (ein interessanter Vergleich !!)
Diskussion (einige Vergleichspunkte aus meiner
subjektiven Sicht)
-
Einer der wesentlichsten Vorteile von MATHCAD gegenüber DERIVE liegt
darin begründet, daß eine Änderung der Angaben durch Mausklick
möglich ist - und sofort wird das Dokument neu berechnet und eventuell
vorhandene Funktionen werden neu gezeichnet.
-
Hervorzuheben ist ferner die Möglichkeit, in MATHCAD "wie auf einem
Blatt Papier" schreiben zu können. Auch im Bereich der Gestaltung
(zB: Beschriftung) von Grafiken weist MATHCAD deutliche Vorteile auf. Die
Möglichkeit, mit Einheiten zu rechnen, ist insbesondere für den
Schultyp "HTL" von Interesse. MATHCAD-Files bzw. Ausdrucke sind aus all
diesen Gründen ungleich besser zur Dokumentation eines Berechnungsvorganges
geeignet.
-
Hingegen scheint mir DERIVE Vorteile beim symbolischen Rechnen sowohl
in der Formulierung wie auch bei diversen Berechnungen aufzuweisen. Dies
ist mir beispielsweise bei der symbolischen Berechnung des Beispiels 4
in DERIVE und MATHCAD aufgefallen,welche aus Platzgründen hier aber
nicht mehr dargestellt werden kann. In beiden Paketen ist die symbolische
Lösung aber prinzipiell möglich.
-
Nach meinen bisherigen Erfahrungen liefert DERIVE häufiger die gesuchten
symbolischen und numerischen Lösungen von Gleichungen.