Roland Pichler, HTL Kapfenberg
Klausur - Mathematik und Fachtheorie - ein Rückblick |
Kurzzusammenfassung:
Im Sommersemester des Schuljahres 1996/97 wurde vom Abteilungsvorstand der Abteilung Maschinenbau in einer Vorbesprechung den Kollegen eröffnet, dass unsere Schule im Schuljahr 1997/98 am Schulversuch: Schriftliche Klausurarbeit: "Angewandte Mathematik und Fachtheorie" mit allen Abteilungen (Abt. für Elektrotechnik, Abt. für Kunststoff- und Umwelttechnik) teilnehmen wird.
Für uns Mathematiklehrer war das eine Überraschung, hieß es nun auch in irgendeiner Form in die Matura eingebunden zu werden. Auf welche Art und Weise das geschehen sollte, musste noch ausdiskutiert werden.
Da in der Schulversuchsbeschreibung keine dezidierte Zuordnung von Gegenständen für diese Klausurarbeit vorgenommen wurde, jedoch eine fächerübergreifende Vorbereitung der Schüler wünschenswert erschien, bestand die Möglichkeit, dass sowohl Mathematiklehrer als auch Lehrer des fachtheoretischen Unterrichts die Prüfungsvorbereitung übernehmen konnten. Folgende organisatorische und didaktische Konzepte wurden entwickelt und durchgeführt:
Dieser schriftliche Prüfungsteil soll so angelegt sein, dass die Schüler mit Hilfe der Software Mathcad mathematische Fragestellungen in Hinblick auf physikalische und technische Sachverhalte zu beantworten haben.
In der Abteilung Elektrotechnik werden die technischen Fragestellungen aus dem Gegenstand MSRT gewählt (Regelungsverhalten usw. ), die dann mit Hilfe mathematischer Verfahren gelöst werden.
Die Betreuung wird in Kooperation zwischen Mathematiker und Fachtheoretiker durchgeführt, wobei der Prüfungsverantwortliche der Mathematiker (mit Zweitfach Physik) sein wird.
In der Abteilung Maschinenbau (allgemeiner Maschinenbau) ist Mechanik das korrespondierende Fach. Die Betreuung obliegt dem Mathematiklehrer (mit Physik als Zweitfach), wobei eine Absprache zwischen Mathematiker und Mechaniklehrer einher geht.
Als Prüfungsverantwortlicher fungiert der Mathematiker.
Im Zweig Kunststofftechnik übernimmt die Prüfungsvorbereitung der Mechaniklehrer, der vom Mathematiker unterstützt wird.
Die schriftliche Arbeit könnte folgendermaßen aufgebaut sein:
Jeder Schüler soll zwei unabhängige Aufgabenstellungen bekommen, die er behandeln muss, wobei Wahlmöglichkeiten angeboten werden. Diese Aufgaben können sich auf spezielle Bereiche beziehen, oder auch einen allgemeineren Überblick geben. Es kann auch ein mathematisches Thema in Bezug zur Technik oder Naturwissenschaft gegeben werden. Die Vorbereitung erfolgt derart, dass verschiedene Themen während des letzten Jahres vorbereitet werden.
Tatsächlich hatte die Jahrgangseinteilung folgendes Aussehen:
Abteilung für Maschinenbau:
Abteilung für Kunststoff- und Umwelttechnik:5 AMT: Teilnahme am Schulversuch, Vorbereitung durch den Mathematiklehrer.
5 BMT: keine Teilnahme am Schulversuch, Matura nach der herkömmlichen Maturaordnung.
Die Vorbereitung in der Abteilung Maschinenbau (5 AMT) für die Klausurarbeit wurde von mir übernommen. In der Abteilung für Kunststofftechnik wurde der Mechaniklehrer Dipl. Ing. Franz Kainz mit dieser Aufgabe betraut und in der Abteilung für Elektrotechnik die Mathematiklehrer Mag. Friedrich Benz, Mag. Gerda Wieninger und Mag. Bruno Zavertanik.5 AET: Teilnahme am Schulversuch, Vorbereitung durch den Mathematiklehrer.
5 BET: Teilnahme am Schulversuch, Vorbereitung durch den Mathematiklehrer.
5 CET: Teilnahme am Schulversuch, Vorbereitung durch den Mathematiklehrer.
2. Ausgangssituation
Ich übernahm im Schuljahr 1996/97 die 4 AMT der Abteilung Maschinenbau von einer Kollegin, die in den Ruhestand wechselte. Die Klasse hatte 19 Schüler, die auch in die Maturaklasse kamen.
Folgende Inhalte wurden von mir in der 4. Klasse geboten:
èVektoralgebra in der Ebene und im Raum und deren Anwendung in der Mechanik
èDifferentialgleichungen 1. und 2. Ordnung mit Aufgaben aus der Mechanik
èFunktionen in zwei Variablen
èGrundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik
èFunktionen in Parameter- und Polarkoordinatendarstellung
Der Unterricht wurde durch Ausarbeitung von kleinen "Mathematik – Projekten" ergänzt, wobei im wesentlichen die Dokumentation mit Rechnerunterstützung und die mathematische Richtigkeit bewertet wurden. In der folgenden Tabelle sind die einzelnen Projekte mit Literaturangaben aufgelistet.
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Vektorielle Darstellung des Moments bzgl. eines Punktes und einer Achse anhand eines Quaders und einer Ebene | Technische Mechanik für Ingenieure,
Schärf 2 |
Kraftschraube
Zentralachse |
Technische Mechanik für Ingenieure, Schärf 2 |
Näherungsverfahren zur Lösung von Gleichungen | AMMU 1 |
DERIVE:
Schwingung einer Autofeder (DGL) |
AMMU 4 |
Polarkoordinatendarstellung
verschiedener Kurven Wankelmotor |
Schärf 3,
Mathematik für Ingenieure3 |
Näherungsweise Integration,
Keplersche Fassregel Trapezverfahren, Simpsonverfahren |
AMMU 3, Schärf 3 |
Statistische Kenngrößen,
Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung |
Schärf 2, Schärf 3,
Timischl: Qualitätssicherung |
Funktionen in 2 Variablen
Extremwerte, |
Schärf 4, Analysis für Ingenieure |
Grundlagen der Fehlerrechnung | Schärf 4, Analysis für Ingenieure |
Bedingte Wahrscheinlichkeit,
endliche Zufallsprozesse und Ereignisbäume |
Schärf 3
Wahrscheinlichkeitsrechnung (Schaum’s Überblicke) |
3. Vorbereitung im 5. Jahrgang
3.1 Organisatorische Vorbereitungen
Für die Schüler war es selbstverständlich eine große und vor allem überraschende Neuerung, dass sie nun auch eine schriftliche Klausurarbeit aus angewandter Mathematik und Fachtheorie absolvieren mussten. Zur Vorbereitung waren unbedingt zusätzliche Mathematikstunden notwendig. Diese wurden einerseits in Form eines Freigegenstandes Mathematik und angewandte Mathematik im Ausmaß von 1 Stunde und andererseits durch Splitting der beiden Mechanikstunden in 1 Stunde angewandte Mathematik und 1 Stunde Mechanik ermöglicht. Das heißt, ich habe in Summe im 5. Jahrgang zwei Stunden Mathematik und angewandte Mathematik unterrichtet.
Die Zusammenarbeit mit dem Mechaniklehrer war eher lose, wobei ich mich mit Physik als Zweitfach in die notwendigen Mechanikkenntnisse relativ schnell eingearbeitet habe.
3.2 Rechnerunterstützung
Die Ausarbeitung und Dokumentation der Klausurarbeit sollte computerunterstützt durchgeführt werden. An unserer Schule wird Mathcad verwendet. Das Programm ist bestens geeignet, diesen Teil der Arbeit zu erfüllen.
Die notwendigen Kenntnisse zur sicheren Handhabung von Mathcad war aber nicht bei allen Schülern gegeben. Daher wurden während des gesamten letzten Jahres alle Vorbereitungen und Ausarbeitungen mit Hilfe von Mathcad durchgeführt. Zwei Schüler hatten selbst keinen PC zu Hause; diese eigneten sich ausreichende Kenntnisse während der Unterrichtszeit an, wobei einer dieser Schüler eine sehr gute Klausurarbeit ablieferte.
3.3 Klausurvorbereitung
Im Vorbereitungsjahr wurden keine neuen mathematischen Inhalte hinzugefügt,
sondern erarbeitet wie die erworbenen mathematische Kenntnisse aus den
vergangenen Jahren auf technisch-physikalische Fragestellungen angewendet
werden. Insgesamt wurden während des Jahres folgende Themenbereiche
durchgearbeitet.
è 1.Thema: Differentialgleichungen
in der Mechanik
So lautete eine Fragestellung zum Beispiel:
Aus diesen Themenbereichen wurde die Klausur zusammengestellt, die ich nun vorstellen möchte.
- Stellen Sie die Differentialgleichung für die Geschwindigkeit v und den Weg s in Abhängigkeit von t für den Fall a) auf.
- Lösen Sie diese Differentialgleichung für folgende Anfangsbedingungen:
- Lösen Sie diese Differentialgleichung für die Anfangsbedingung: v(0) = 0.
- Fällt der Körper (Dichte r , Masse m) in einer Flüssigkeit (Dichte r Fl), so ist auch der Auftrieb zu berücksichtigen. Wie wirkt sich der Auftrieb in der Differentialgleichung aus?
Vergleichen Sie graphisch
den Geschwindigkeits - Zeit Verlauf zweier Kugel (r 1 und r
2) mit gleichem Durchmesser d, welche in einem zähen
Medium (r Fl) sinken, zuerst ohne und dann mit Berücksichtigung
des Auftriebs.
Die Konstante c ergibt
sich nach dem Stokes’schen Gesetz zu c = 6× p × h ×
r
- Nach einiger Zeit stellt sich ein Zustand konstanter Fallgeschwindigkeit ein (stationäre Geschwindigkeit vs).Bestimmen Sie vs. Wie wird das mathematisch formuliert?
- Nach welcher Zeit t ist die Sinkgeschwindigkeit 95% von vs ?
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Alustahl: 6300 | Al: 2700 | Glycerin: 1300 |
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Glycerin: 1.5 |
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Chromstahl: 7700 | Al: 2700 | Rizinusöl: 960 |
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Rizinusöl: 0.99 |
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Alustahl: 6300 | Glas: 2200 | Glycerin: 1300 |
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Glycerin: 1.5 |
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Chromstahl: 7700 | Glas: 2200 | Rizinusöl: 960 |
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Rizinusöl: 0.99 |
Bei diesem Beispiel war der Zusammenhang zwischen mechanischem Problem und dessen mathematischer Formulierung interessant, sowie die entsprechenden Lösungsmethoden.
Entsprechende zusätzliche Fragen sollten Auskunft darüber geben, wieweit der Schüler in der Lage ist, die entsprechenden Zusammenhänge zu erkennen und zu formulieren.
Bei den folgenden Fragestellungen ist zwischen 2) und 2´) zu wählen
Bei einem elastischen Balken bestehen zwischen dem Biegemoment Mb(z), der Querkraft FQ(z) und der Streckenlast q(z) die folgenden Beziehungen:
- Die Randbedingungen zur Bestimmung von FQ(z), Mb(z) und der elastischen Linie
- die Querkraft FQ(z)
Stellen Sie diese drei Größen in Abhängigkeit von z über die Länge L graphisch dar.
- Wo liegt die größte Durchbiegung?
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Gruppe 1 |
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Gruppe 2 |
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Gruppe 3 |
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Gruppe 4 |
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In dieser Aufgabe geht es in erster Linie um die Umsetzung der mechanischen
Kenntnisse (siehe Erstellen der Randbedingungen, usw.) und die graphische
Darstellung der elastischen Linie. Die Integrationen sind relativ leicht
durchzuführen, es ist aber darauf zu achten, dass die Randbedingungen
richtig formuliert werden, damit sinnvolle Lösungen hervorgehen.
In der Statik sind viele Probleme mit Hilfe der Vektorrechnung elegant lösbar. In der folgenden Fragestellung ist neben der Komponentenrechnung zur Lösung auch die Vektorrechnung anzuwenden.
Die folgende Skizze zeigt einen Balken auf einer Doppelpendelstütze und einfacher Pendelstütze, der mit einer Einzelkraft F, die unter dem Winkel a angreift, belastet wird.
Zu berechnen sind die Stabkräfte, FA, FB und FC.
Verwenden Sie zur Berechnung sowohl die Vektorrechnung als auch die Komponentenrechnung.
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Gruppe1 |
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Gruppe 2 |
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Gruppe 3 |
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Gruppe4 |
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Dabei ist es wichtig, dass der Schüler das Problem sowohl in der üblichen Form (å Fx = 0, å Fy = 0) als auch in der Vektordarstellung formulieren und lösen kann.
4. Auswertung und Resümee
4.1 Auswertung
Das erste Beispiel wurde von mir in 8 Teile gegliedert, nämlich in:
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1) | Aufstellen der DGL für Fall a) |
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2) | Lösen der DGL und Interpretation |
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3) | Aufstellen der DGL für Fall b) |
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4) | Lösen der DGL |
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5) | Auftrieb in DGL |
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6) | Vergleich der verschiedenen Modelle |
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7) | Berechnung der konstanten. Sinkgeschwindigkeit |
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8) | 95% der Sinkgeschwindigkeit |
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Aufgrund der graphischen Darstellung der Lösungskurven (siehe unten) setzten die Schüler für t größere Zahlenwerte und leiteten daraus die stationäre Geschwindigkeit her. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es sinnvoll begründet wird. Meist wurde es aber ohne Kommentar durchgeführt und der Grenzprozess nicht beachtet.
Auch beim Vergleich der verschiedenen Modelle traten Schwierigkeiten
auf, die unter anderem auf Mängel im Umgang mit Mathcad schließen
lassen.
Bei der zweiten Aufgabe konnten die Schüler zwischen 2 und 2´wählen.
Zehn Schüler wählten 2 und neun 2´. Die Aufgabe wurde in
3 Teile gegliedert:
Gliederung |
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2 | ||
a) | Angabe der Randbedingungen |
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b) | Lösen der Integrale |
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c) | Graphische Darstellung und max. Durchbiegung |
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2´ |
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a) | å Fx = 0, å Fy = 0 |
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b) | Vektordarstellung |
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c) | Lösungsverfahren |
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Die Beurteilung der 19 Schüler sah letztendlich so aus:
Sehr gut |
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Gut |
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Befriedigend |
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Genügend |
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Nicht genügend |
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4.2 Resümee
Für alle Beteiligten war diese Art der schriftlichen Teilklausur sicher eine Neuerung die mit Mehrarbeit verbunden war. Dieser Mehraufwand wurde jedoch durch die guten Ergebnisse bei der Klausur und dadurch gerechtfertigt, dass fächerübergreifende Prinzipien zum ersten Mal verstärkt zum Tragen kamen.
Von den Schülern wurde der Schulversuch vorerst eher skeptisch aufgenommen, aber die Zweifel konnten durch die intensive Vorbereitung größtenteils ausgeräumt werden.
Schulorganisatorisch könnte es für die Abteilungen Probleme geben, die in Zukunft im 5. Jahrgang keine Mathematik haben.